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«Un caleidoscopico Novecento» –
Zur Funktion der bildenden Kunst in
San Giorgio in casa Brocchi
Martha Kleinhans
Eine dreidimensionale Frauenfigur aus Holz, Leder, Stoff und verschiedenen Metallen richtet in Carlo Emilio Gaddas San Giorgio in casa Brocchi (1931-1952) ihre begehrenden Augen auf den erstbesten männlichen Ausstellungsbesucher der Mailänder esposizione dei Futuristi und durchbohrt ihn mit ihrem Liebespfeil. Wenige Tage später steht eine novecentistische Skulptur des Heiligen Georg an eben der Stelle, an der die futuristische Marchesa Cavalli plaziert gewesen war.
Beschreibungen von Gemälden und Skulpturen nehmen in der Erzählung überdimensional breiten Raum ein. Als Teilbereich seiner Lebenswelt werden zeitgenössische Kunstwerke von Gaddas «pantagruelischer» (Roscioni 1975: 57) Gier nach allumfassender Wirklichkeitserfassung aufgesogen, ausgewählt, verzerrt und in das narrative Gewebe der Satire eingebaut. Die Avantgardebewegungen des Futurismus und des Novecento nutzt Gadda gleich einem zerlegbaren Material, das er im schöpferischen Prozess des Schreibens neu gestaltet. In der Forschung blieb seine Auseinandersetzung mit Gegenwartskunst und Kunstkritik bislang nahezu unbeachtet (Lipparini 1994: 109 ff.), obgleich die Intermedialitätsforschung sich in letzter Zeit verstärkt derartigen Fragen zuwendet. (1) San Giorgio in casa Brocchi belegt, wie intensiv der Autor die wechselseitigen Beziehungen zwischen bildender Kunst und Literatur auslotete und den Dialog mit zeitgenössischer Malerei, Plastik und Photographie suchte. (2)
Gadda, so gilt es zu zeigen, entwickelte auf originelle Weise die Tradition der Ekphrasis weiter. Bevor es sich einbürgerte, unter Ekphrasis die literarische Beschreibung von Kunstgegenständen zu verstehen, meinte der Begriff in der Rhetorik einen beschreibenden Text, der durch seine Bildkraft das Mitgeteilte veranschaulicht, um bei seinen Adressaten bestimmte, vom Rhetor bzw. Dichter beabsichtigte Wirkungen zu erzielen. (3) Die Anschaulichkeit (enargeia) wurde zum Schlüsselwort der Ekphrasis, das auch Gaddas deskriptives Erzählen in San Giorgio in casa Brocchi zutreffend charakterisiert. Die folgende Analyse setzt die in San Giorgio in casa Brocchi gegebenen Beschreibungen italienischer Gegenwartskunst in Bezug zur deskriptiven Passage, mit der die Erzählung anhebt. Bilder zu evozieren, die den Leser zum Zuschauer machen, rieten die antiken Rhetoriken dem jungen Redner. Gadda setzt dieses Gebot um, ja mit Hilfe einer höchst eigenwilligen Syntax baut er eine visuelle Struktur auf, die seine poetologische Konzeption reflektiert. San Giorgio in casa Brocchi erweist sich unter dieser Perspektive nicht nur als Satire auf den Kunstjargon im Mailand der Jahre zwischen den Kriegen, sondern auch als Versuch, sich im bildschöpferischen Schreiben den Herausforderungen der Avantgardekünste zu stellen und deren Innovationsanspruch zu hinterfragen.
San Giorgio in casa Brocchi erzählt von den Problemen des spätpubertierenden Gigi, des Sohnes der verwitweten Contessa Brocchi, sich von den familiären Fesseln zu befreien und seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Gegen die «konservative Obsession» der Mutter verschwören sich (Gadda 1984b: 91 – Brief vom 7.5.1931) nicht nur das Dienstmädchen des Onkels namens Jole, sondern auch die Bilder einer Ausstellung.
Mailand und die Avantgardekunst
Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts bildete Mailand, Gaddas Heimatstadt, ein kulturelles Zentrum, von dem wichtige künstlerische Avantgardebewegungen ihren Ausgang nahmen. In der Mailänder Zeitschrift Poesia legte Filippo Tommaso Marinetti die italienische Fassung des futuristischen Manifests Fondazione e Manifesto del Futurismo vor, (4) in der norditalienischen Metropole inszenierte seine Futuristengruppe spektakuläre, militante Aktionen. Insbesondere in der ersten Phase des Futurismus (1909 – ca.1920) (5) gaben sich die Futuristen ausgesprochen antibürgerlich, revolutionär, antitraditionell. Scharf verurteilen sie in ihren Manifesten zu allen Formen der Kunst und Politik jedwede Rückwärtsgewandtheit (passatismo). Fortschrittsbegeistert bejubeln sie die moderne Technik, entdecken Motoren, Autos und Flugzeuge als Kunstgegenstände und erheben Bewegung, Schnelligkeit und Agressivität zu Leitbegriffen.
11 febbraio 1909 […] Sussultammo ad un tratto, all’udire il rumore formidabile degli enormi tramvai a due piani, che passano sobbalzando […] noi udimmo subitamente ruggire sotto le finestre gli automobili famelici. […] Partiamo! Finalmente, la mitologia e l’ideale mistico sono superati. Noi stiamo per assistere alla nascita del Centauro e presto vedremo volare i primi Angeli!… Bisognerà scuotere le porte della vita per provarne i cardini e i chiavistelli!… Partiamo! […] Ci avvicinammo alle tre belve sbuffanti, per palparne amorosamente i torridi petti, io mi stesi sulla mia macchina come un cadavere nella bara, ma subito risuscitai sotto il volante, lama di ghigliottina che minacciava il mio stomaco. (6)
Im Mailänder Palazzo Cova erregte 1919 die Grande Esposizione Nazionale Futurista Aufsehen, 1927, 1929 und 1931 fanden in der Galleria Pesaro Ausstellungen futuristischer bildender Kunst statt. Als sich um Mar-gherita Sarfatti 1922-1923 die neue Künstlervereinigung Novecento gruppierte, war die «heroische Epoche» des Futurismus bereits vorüber. Deshalb konnte die Mailänder Publizistin auch zunächst viele futuristische Maler für ihre Vereinigung gewinnen. Margherita Sarfatti, Marinettis Gegenspielerin im Kunstbetrieb der 20er Jahre, stammte aus einer reichen jüdischen Familie aus Venedig und hatte jahrelang im faschistischen Italien die Machtstellung einer Kulturpäpstin. Die Initiatorin des Novecento gehört zu den Frauen, die Gadda in seinem Werk mit hämischem Spott bedenkt. Möglicherweise wurde seine Abneigung durch den Haß auf Mussolini und einen zumindest latent vorhandenen Antisemitismus bürgerlicher Prägung verstärkt. (7)
Seine Invektive in Eros e Priapo gegen die welterfahrenen, wohlhabenden «ebree» mit ihrem «millenario intellettualismo» (SGF I 252), die die kulturellen und sexuellen Bedürfnisse Mussolinis befriedigten, mag auch Margherita Sarfatti gelten, deren Mittwochssalon in Mailand Künstler, Journalisten und Angehörige der Oberschicht gleichermaßen frequentierten. (8) Bis Ende der 20er Jahre war Sarfatti, die zusammen mit Mussolini für die Zeitschrift Il Popolo d’Italia und später Gerarchia (9) gearbeitet hatte, nicht nur seine Geliebte, sondern aufgrund ihrer Intelligenz und Bildung sowie ihrer einflußreichen Kontakte als hochrangige Journalistin, Kunstkritikerin und politische Ratgeberin des Duce geschätzt und gefürchtet. Die Biographie Dux (1926, 1928; engl. 1925) der überzeugten Faschistin trug erheblich zum Aufbau des Duce-Mythos in und außerhalb Italiens bei. Nach dem Urteil ihrer Zeit verfügte die ehrgeizige Mailänderin über hohen Kunstverstand und großes Organisationsgeschick.
Bei der Gründungsversammlung der Novecento-Gruppe in der Galleria Pesaro in Mailand im Oktober 1922 waren neben Sarfatti und dem Galleristen Lino Pesaro die Künstler Anselmo Bucci, Leonardo Dudreville, Achille Funi, Gian Emilio Malerba, Piero Marussig, Ubaldo Oppi und Mario Sironi anwesend. (10) War Mussolini zunächst Margherita Sarfattis Anschauungen und Ambitionen bezüg-lich der Novecento-Bewegung gefolgt und hatte sie durch seine Anwesenheit bei den Aus-stellungen 1923 und 1926 aktiv unterstützt, ging er später auf Distanz. Noch am 15. Februar 1926 eröffnete Mussolini persönlich mit einer später publizierten Rede die prima mostra del Novecento italiano im Palazzo della Permanente. (11) An der Ausstellung beteiligten sich die damals bedeutendsten Maler und Bildhauer Italiens, und auch 1929 gelang es Sarfatti trotz erheblicher organisatorischer Schwierigkeiten, die ihr politische Gegner bereiteten, wichtige Werke von ca. 100 Künstlern (von Carrà bis Morandi, Severini, Francesco Messina, Marino Marini, Arturo Martini) zu präsentieren (Cannistraro & Sullivan 1993: 312). An der Seconda mostra del Novecento italiano, die am 24.2.1929 eröffnet wurde, nahm Mussolini jedoch nicht mehr teil. (12) Im Juli 1929 untersagte er Sarfatti in einem Brief, seinen Namen mit ihren künstlerischen Ideen öffentlich in Beziehung zu setzen.
Eine Satire auf die Novecento-Bewegung war zu Beginn der 30er Jahre nicht ganz ungefährlich. Daß Gadda sich in San Giorgio in casa Brocchi noch recht zurückhaltend über Margherita Sarfatti äußert, verwundert angesichts der Verflechtung ihrer Person mit der faschistischen Politik nicht. Ihr Name wird in der Erzählung nicht explizit genannt, wenn auch zumindest Mailänder Lesern klar gewesen sein dürfte, wer hinter der «Promotrice, per non dire Eccitatrice, del vasto bailamme» (RR II 660) zu suchen war. Anspielungen auf Sarfattis enge Beziehung zu Mussolini fehlen jedoch in San Giorgio in casa Brocchi noch. Dies ändert sich mit Quer pasticciaccio brutto de via Merulana. In dem nach dem zweiten Weltkrieg publizierten Roman spielt Gadda in hyperbolischgrotesker Manier auf die Liebesbeziehung zwischen dem Duce und der einflußreichen Mailänder Kunstkritikerin an. (13) Mit Hilfe der antiken Frauengestalten Egeria und Dido markiert er den Weg Margherita Sarfattis von der Geliebten und Ratgeberin zur verlassenen, einsamen Frau. Während Sarfatti als rastlose Aktivistin der Novecento-Bewegung auftritt, wird Mussolini neben ihr als ein vom Sexualtrieb und narzißtischem Imponiergehabe bestimmter Mensch porträtiert.
La Margherita, di ninfa Egeria (14) scaduta a Didone abbandonata, varava ancora il Novecento, el noeufcént, l’incùbo dei milanesi di allora. Vacava alle mostre, ai lanci, agli oli, agli acquerelli, agli schizzi, quanto può vacarci una gentile Margherita. Lui s’era provato in capo la feluca, cinque feluche. Gli andavano a pennello. (15) Gli occhi spiritati dell’eredoluetico oltreché luetico in proprio […] (Pasticciaccio, RR II 56)
Durch die dialektale Variante erhält der Begriff el noeufcént in Quer Pasticciaccio zusätzliches Lokalkolorit. Indem der Roman den Novecento als «Alptraum der Mailänder» bezeichnet, knüpft er an eine Formulierung aus San Giorgio in casa Brocchi an, wo der «incubo di quelle tele» der Novecentisten (RR II 658) bei Gigis Onkel Agamènnone heftige Verdauungs-beschwerden auslöst.
Gadda situiert seine San Giorgio-Erzählung im Mailand des Jahres 1929, einem Jahr, in dem zwei unterschiedliche künstlerische Positionen aufeinander prallen: Novecento und Futurismus. Die im Text gegebene Datierung des Geschehens auf das Jahr 1929 (RR II 682) sowie die Bezeichnung Triennale Milanese (RR II 657, 680), die Begriffe «Novecento» und «pittore novecentista» identifizieren die in der Erzählung beschriebene Ausstellung eindeutig als die von Margherita Sarfatti im Palazzo della Permanente organisierte Seconda Mostra del Novecento (März-April 1929).
Im selben Jahr polemisiert Filippo Tommaso Marinetti auf Seiten der Futuristen im Katalogtext zur Mostra di 33 Futuristi, die im Oktober in der Galleria Pesaro stattfand, offen gegen Sarfatti und den von ihr propagierten Novecentostil. (16) Gadda schreibt seine San Giorgio-Erzählung, als nicht nur Sarfattis Stern, sondern auch der ihrer Bewegung bereits am Sinken war. Futuristen wie Marinetti und Anhänger einer progressiven, individuellen Kunstauffassung wandten sich gegen den Alleinvertretungsanspruch, den sie im Bereich der italienischen Kunst erhob (Cannistraro& Sullivan 1993: 380). Schon 1922 hatte Carlo Carrà, der zwar in den Ausstellungen des Novecento mit seinen Werken präsent war, jedoch eine distanzierte, eigenständige Position vertrat, die anmaßende Bezeichnung der Gruppe getadelt, die für sich die Vertretung der Kunst eines ganzen Jahrhunderts in Anspruch nahm: «Quello che piuttosto bisognerebbe far notare ai nostri cari colleghi novecentisti, gli è che essi si pappano addirittura il privilegio di rappresentare il secolo novo». (17)
Wenn Sarfatti auch in ihrer Storia della pittura moderna (1930) diesen Vorwurf zurückwies, ist das Bestreben, durch eine von ihr straff geführte Sammelbewegung der italienischen bildenden Kunst zu neuer Größe zu verhelfen, unverkennbar. Im Gegensatz zum Futuristen Marinetti bejahte sie eine Anbindung an die italienische humanistische Kunsttradition und gab der Tendenz nach einer Rückkehr zur Ordnung, zu einfachen, soliden Formen in der Kunst der 20er Jahre bereitwillig nach. (18) Daher ist es verständlich, daß Marinetti den Novecento als «organizzazione commerciale camorristica» angriff, als Clique geschäfts-tüchtiger Künstler, die sich dem herrschenden Regime opportunistisch anbiedere und eine restaurative Kunstrichtung ohne innovativen Gruppenstil vertrete. (19) Sarfatti erwuchsen jedoch auch von anderer Seite Feinde: Anhänger eines engstirnigen faschistischen Realismus kritisierten die Offenheit der weltläufigen Intellektuellen, Tendenzen der internationalen Avantgarde in die italienische Kunst aufzunehmen. (20) Ausschlaggebend für den endgültigen Sturz Sarfattis waren schließlich eher politische Gründe, insbesondere die Annäherung Italiens an Hitler und den Rassismus der Nationalsozialisten. Aber noch zu Beginn der 30er Jahre schrieb sie unter Mussolinis Namen Beiträge für die amerikanische Hearst-Presse und fungierte als Mittlerin zwischen ausländischen Politikern und Journalisten und dem faschistischen Diktator. Erst nach Erlaß der Rassengesetze verließ Sarfatti am 14.11. 1938 ihr Land. 1947 kehrte sie nach Italien zurück, wo sie aufgrund ihrer faschistischen Vergangenheit vom Kulturgetriebe der Nachkriegsjahre isoliert im Jahre 1961 starb (Cannistraro & Sullivan 1993: 518-19).
Die futuristische *** und die novecentistische Apokalypse
Bei den Lesern des Tevere und der Solaria durfte Gadda im Jahre 1931 mit der Fähigkeit rechnen, Anspielungen auf Futuristen und Novecentisten zu erkennen, ja gegebenenfalls die literarische Bildbe-schreibung in seiner Erzählung mit einem erinnerten realen Kunstwerk zu verknüpfen. Geht man solchen Anspielungen nach, stößt man auf mehrere tatsächlich vorhandene Werke des Futuristen Balla, die Gadda als Vorlagen für seine Bildbeschreibungen in San Giorgio in casa Brocchi dienten. Bezüglich der Gemälde der Novecento-ausstellung jedoch ließ sich Gadda meines Wissens nicht von einem existierenden Werk inspirieren.
Ein erster, die Lesererwartung lenkender Hinweis auf die zu sehenden Kunstwerke der Triennale erfolgt von Seiten der sittenstrengen Contessa Brocchi. Die Erinnerung an den keuschen Gesichtsausdruck des Heiligen Luigi Gonzaga veranlaßt sie, der Mostra fernzubleiben, obwohl sie die dort ausgestellte Skulptur eines Heiligen Georg anzieht: «se pure il cavaliere dei santi, trionfante luce di giovinezza, avanzasse come Fortebraccio sopra le tenebre di ogni chiuso tormento» (RR II 657). Der Vergleich mit Fortinbras in der Schlußszene von Shakespeares Hamlet bleibt der einzige Verweis auf die Georgsskulptur. Die ekphrastische «Leerstelle» füllen jedoch andere im Text anzitierte Georgsbilder aus: Kurz zuvor (RR II 654) war als Synthese weiblicher Wunschphantasien vom begehrenswerten Helden das Georgsidol entworfen worden, das sich aus ineinander verschwimmenden Bildern berühmter Georgsdarstellungen (Donatello, Carpaccio) speist. Eine weitere im Text angelegte Verknüpfung mit dem bozzetto des San Giorgio bot das Gespräch der Contessa mit dem Pfarrer über den neuen Georgsaltar seiner Gemeinde Brugnasco. Er hatte nämlich eine Beschreibung des von Gadda wohl frei erfundenen Georggemäldes eines nicht identifizierbaren Antonio Pasta gegeben, die neben den ikonographischen Elementen Georg – Pferd – serpente – besonders die weiblichen Züge des Drachens (gambe, betörende Augen) schilderte, und hatte damit den Leser zu einer psychologisierenden Deutung herausgefordert (Kleinhans 1995: 109-38).
Hier nun geht es dem Autor darum, eine Opposition zwischen Triennale der Novecentisten und der «esposizione de’ Futuristi» aufzubauen. Der novecentistische San Giorgio verdrängt das Ritratto della Marchesa Cavalli der Futuristenausstellung von seinem Platz. Metonymisch verweist dieser Wechsel auf die – wenn auch nur vorübergehende – Vormachtstellung des Novecento von 1923 bis kurz nach 1926.
Così, dopo il «pugno nello stomaco» de’ Futuristi, vennero il San Giorgio e la Triennale Milanese: dove, contro gli ultimi ruderi d’un ritardatario Ottocento, caparbio e duro da morire, si levava, con grido possente di vita, un caleidoscopico Novecento. (RR II 658)
Gadda kehrt die poetische Verherrlichung des Faustschlags (21) durch die Futuristen ironisch um, wenn er vom Schlag in die Magengrube der Futuristen spricht. Nun sind sie es, die «Hiebe» einstecken müssen, da die Novecentisten die Futuristen zu bezwingen scheinen. Durch Giacomo Ballas graphische Skizze und Skulptur Il pugno di Boccioni, womit der Künstler an den Tod Umberto Boccionis im ersten Weltkrieg und an seine Verdienste um den Futurismus erinnern wollte, war «pugno» ehedem fast zum Synonym für den Futurismus geworden, da Marinetti Ballas pugno-Zeichnung als offizielles Emblem des Futurismus auf Briefen benutzte.
Offensichtlicher als im Falle des Pugno spielt Gadda mit dem vorher genannten dreidimensionalen Porträt auf ein anderes Werk Ballas an. Er geht nämlich hierbei, so lautet meine These, von Ballas Ritratto della Marchesa Casati aus. (22) Der seinerzeit berühmte, heute verlorene complesso plastico war bereits im März-April des Jahres 1919 in der Grande Esposizione Nazionale Futurista der Galleria Centrale d’Arte des Mailänder Palazzo Cova ausgestellt. Die futuristische Skulptur soll erstaunliche Ähnlichkeit mit der Marchesa Casati, Filippo Tommaso Marinettis Freundin und Protektorin, gehabt haben. (23) Piero Gigli schrieb 1919 in der Genueser Zeitung La Polemica, das kinetische Kunstwerk aus verschiedenen Materialien habe bei den Ausstellungsbesuchern große Belustigung hervorgerufen. Auch Gabriele d’Annunzio zeigte besonderes Interesse für die Skulptur mit den verstellbaren Augen. (24) Gadda orientiert sich zwar recht genau an der realen Vorlage, doch geht er in seiner Beschreibung des Kunstwerks – dies dokumentieren erhaltene Abbildungen und Beschreibungen von Betrachtern des Ritratto – über eine hyperpräzise Darstellung der Skulptur hinaus.
[…] la cosa si spiega (cioè che una scultura, in centro sala, abbia potuto occupare il posto d’un ritratto) col notare che il «Ritratto della Marchesa Cavalli» era un ritratto a tre dimensioni; dove le diverse falde cromatiche, bianco del viso, rosso delle gote, nero dei sopraccigli, eccetera, erano costituite da pezzi di legno, di cuoio e di panno colorato, armati alcuni con fili di ferro, i quali ruotavano a cerniera su dei pernetti infissi al posto delle ghiandole lacrimali e anche sotto, lungo tutto il naso, che era di zinco, nel mentre le occhiaie amorose e profonde della stupenda marchesa potevano sventagliare alla lor volta in un numero infinito di direzioni, a piacere dei visitatori, ed erano due ritagli di latta. Anche le pupille, dal di dietro del ritratto, si potevano manovrare abbastanza facilmente per modo da far roteare a volontà lo sguardo della marchesa, portandolo a trafiggere d’un dardo concupiscente il primo salumiere che entrasse: sebbene… qualche manovratore inesperto finiva per cavarne dei dolorosi effetti di strabismo. (RR II 657-58)
Besondere Hervorhebung erfährt zunächst die Dreidimensionalität des Porträts. Die Dreierstruktur wiederholt sich in der Nennung der Farben Weiß, Rot, Schwarz (25) und in der Aufzählung der drei Grundmaterialien Holz, Leder und bemalter Stoff. Am detailliertesten werden die Augen und ihr Umfeld beschrieben. überpräzise in der Schilderung ergötzt sich der Erzähler geradezu an der Fähigkeit, die Augenhöhlen nach allen möglichen Richtungen auszuschwenken, die Pupillen von hinten so zu verstellen, daß der Blick der Marchesa beliebige Kreisbewegungen vollzieht. Durch die Steigerung vom Adjektiv-Zusatz – amorose – bis hin zur ausführlichen Gerundio-Erweiterung stellt er die Augen in ihrer Symbolkraft als Instrument sexueller Anziehung vor. Die Kombination von detailgenauer Objektbeschreibung mit Attributen traditioneller Liebesmetaphorik macht den Reiz von Gaddas Ekphrasis aus. Während der Pfeil Amors sich in der Tradition der Sprache der Liebe durch seine Zielsicherheit auszeichnet, kann der Mechanismus der futuristischen Skulptur so manipuliert werden, daß der begehrende Blick der hohen Dame ziellos umherirrt und mit dem ausgesandten dardo concupiscente den erstbesten, ihrem Stand nicht entsprechenden Besucher (il primo salumiere che entrasse) trifft.
Genau hier kippt die Bildbeschreibung um: Indem sie den Liebes-pfeil aussendet, erhält die Skulptur Fähig-keiten, die das Ritratto della Marchesa Casati nicht hatte. Gadda denkt Ballas Idee, den Bildbetrachter spielerisch in das Kunstwerk miteinzubeziehen, weiter und imaginiert außer dem Pfeil, der den Metzger-jungen durchbohrt, einen Besucher, der die Verstellvorrichtungen falsch handhabt, so daß die Marchesa schielt. Damit verwandelt sich das metaphorische Bild von Amor mit dem Pfeil in das der Göttin Venus. Denn die Antike schrieb der Liebesgöttin den «Silberblick» zu, wie die italienische Wendung «strabismo di Venere» noch anzeigt. (26) Auch der veränderte Name der dargestellten Person dient der Intention, die Skulptur der «Marchesa Cavalli» als Symbol weiblicher Verführungsmacht zu funktionalisieren. Aufgrund des Begriffs Cavalli hat das Kunstwerk nämlich Anteil an der die Erzählung dominierenden Pferdemetaphorik, die die Macht der Libido symbolisiert. über die Namensänderung von Casati zu Cavalli, das das Phonem ca- sowie die Endung -i des ursprünglichen Namens beibehält und damit die Identifizierung der Vorlage erleichtert, schafft Gadda einen Bezug zur Contessa Brocchi, da die brocchi (Klepper) nur eine Spezifizierung von cavalli (Pferde) darstellen. (27) Durch die Verfremdung des ursprünglichen Titels des Kunstwerks zum Ritratto della Marchesa Cavalli wird die futuristische Skulptur zum parodistischen Porträt der contessa Brocchi, das ihre geheimen libidinösen Regungen offenbart. Das im Text inszenierte Kunstwerk reflektiert so eine Figur des Erzählgeschehens.
Noch bevor eines der novecentistischen Gemälde beschrieben wird, wertet der Erzähler den Novecento als «Mystizismus der 44 Möglichkeiten» (RR II 658) ab. Während Aktdarstellungen in der historischen Ausstellung von 1929 eher selten und wenig provokativ waren, dominieren in San Giorgio in casa Brocchi auf den Gemälden der Novecentisten nackte Gestalten in aufreizenden Posen, wimmelt es von Amazonen, Kentauren und dahinjagenden Pferden. Bei Gadda agieren die auf den Gemälden dargestellten Wesen im Raum, die Pferde galoppieren nicht auf den Gemälden, sondern durch die 33 Räume der Triennale, der Kentauer und die Stute «avevano trasformato quella sala in una stazione di monta» (RR II 659). Dieser Vorgang der Verlebendigung des leblosen Bildes spielt sich in der Imagination der Ausstellungsbesucher ab: Sie sehen zwar das statische Gemälde, aber sie erleben es als gegenwärtige Handlung. Die reine Geschehensebene läßt sich in San Giorgio in casa Brocchi nur schwer ausmachen. Immer wieder verläßt Gadda den linearen Handlungsbericht, um Digressionen über zurückliegende Ereignisse einzuschieben. Zusätzliche Farbigkeit erhält die Passage über die Triennale durch den Einsatz rhetorischer Stil- und Klang-figuren. Gaddas Sprache verweigert sich eindeutigen Festlegungen auf einen festumrissenen Erzähler. In San Giorgio in casa Brocchi weist die Erzählerrede eine emotionale Struktur auf, die (erlebte) Rede einer Figur andererseits wird vom Autor gelenkt. Besprechende Passagen wechseln abrupt und häufig mit Gesprächs- und Gedankenfetzen (in Anführungszeichen). (28)
«… Per quanto, in camera charitatis… diciamolo pure qui fra di noi… hanno messo fuori delle cose… vergognose», e intendeva vergognose, non nel senso dell’arte, ma nel senso di casa Brocchi. Difatti la prima cosa che colpiva l’«intenditore», al primo metter piede nella diabolica Esposizione, era una deplorevole mancanza di tutti que’ panni, pannicelli, e lenzuoli, che svolazzano con tanta intelligenza presso i classici della nostra pittura: e rendono, anche ai romantici, così delicati servigi. Trascinato alla presenza di quelle tele, il conte si accorse che le sue mascelle di pedagogista non riuscivano più a chiudersi. (RR II 658)
So scheinen zwar die Bilder aus dem Blickwinkel des conte Agamènnone (oder anderer Besucher) betrachtet und gedeutet, finden sich Äußerungen von ihm in direkter Rede zitiert neben erlebter Rede. Doch vermischt sich diese Perspektive und Redeweise untrennbar mit der Perspektive des sowohl den Novecento als auch Agamènnone ironisierenden Erzählers, der aufgrund der benutzten Fachtermini bisweilen aus den Reihen der Kunstkritiker zu kommen scheint, dann aber wieder sexuelle Obsessionen Gaddas oder seiner Zeitgenossen wiedergibt. (29) Die auf den Bildern zu sehenden weiblichen Körperteile sind ohne Ausnahme häßlich und abstoßend, sie werden durch die Technik der accumulatio und der Hyperbel grotesk verzerrt (madornali natiche; lunghe mamme di capra; l’orgia immota delle sue poppe e un ventre vulvaceo, RR II 659). Weibliche Anmut sucht man hier vergeblich, die Frau wird auf ein entfesseltes Tier, die kriegerische Amazone und Wilde (creola), die Dirne (meretrice boema) reduziert, sie wird zum furchteinflößenden Phantasma (l’incubo di quelle tele).
Hinter diesen Bildbeschreibungen versteckt sich aber auch indirekte Kritik an Margherita Sarfattis Novecento-Programm. Sarfattis Forderung nach Rückkehr antiker Themen (30) löst Gadda mit den genannten Sujets «seiner Bilder» zwar ein, doch er interpretiert den novecentistischen Stil als plumpe und vereinseitigende Aneinung futuristischer Motive (Geburt des Kentauren; Engel) und Sammelsurium unterschiedlicher Stilrichtungen. Die Ausstellung wird zu einer Ansammlung von banal Obszönem. Bei der Wiedergabe der «böhmischen Dirne» insistiert der Text neben der unziemlichen Körperhaltung in hyperbolischer überzeichnung auf der Vorliebe des Künstlers für geometrische Körper (Ikosaeder, hexagonale Prismen, Parallelipeda). Gadda überspitzt so eine Art der Darstellung, die die Unterzeichner des Futuristischen Manifests «Contro tutti i ritorni in pittura» – unter ihnen die späteren Novecentisten Funi und Sironi! – als charakteristisch für die «falschen Primitiven» 1920 verurteilt hatten. (31)
Le madornali natiche d’una meretrice boema, china a lisciarsi le caviglie cilindriche, erano state messe a dimora in un magazzino di prismi esagonali e di parallelepipedi color cenere, valorizzati, questi ultimi, in una prospettiva speciale, audacemente simbolica e novecentesca, e cioè piccoli da vicino e grandi da lontano. (RR II 659)
Im wertenden Syntagma «audacemente simbolica e novecentesca» legt der Bildbetrachter zeitweise das Gewand des novecentistischen Kunstkritikers an und bedient sich seiner Ausdrucksweise. Photoaufnahmen der ästhetisierenden, an die italienische Maltradition anknüpfenden weiblichen Akte der II Mostra del Novecento zeigen keine Ähnlichkeit mit den Frauengestalten, mit der lächerlichen Pose oder den geometrischen Formen, die Gadda beschreibt. (32) Aus der Diskrepanz zwischen wenig spektakulärem Sachverhalt und dessen hochtrabender Etikettierung entsteht bei ihm Komik. Grotesk erscheint die Szenerie schließlich dadurch, daß eine Reihe von Alltagsgegenständen, die nachlässige Besucher vor dem Kunstwerk liegengelassen haben, (33) dem Kunstobjekt die Aura des Erhabenen rauben. Durch die fünfgliedrige Aufzählung erhalten Nebensächlichkeiten wie Eislöffelchen und Kinderspielzeug überproportionales Gewicht, vor dem Leser entsteht nicht allein das Bild des Kunstwerks, sondern ein Bild, das sich aus dem Ausstellungsobjekt und dessen Kontext, der Geringschätzung gegenüber der Kunst signalisiert, zusammensetzt.
Doch nicht nur die Künstler, sondern auch die bürgerlichen Rezipienten dieser Kunst beziehen satirische Schläge. Conte Agamènnone paßt sich dem Zeitgeschmack an und ersteht ein Novecento-Gemälde, das ihn nur novecento lire kostet. Für die prüde Familie Brocchi kommt der Kauf einer Aktdarstellung nicht in Frage, deshalb erwirbt der Graf ein Blumenkohl-Stilleben, dessen Gemüsesujet nicht nur Agamènnones Broccoli-Diät ironisiert, sondern phonetisch von den broccoli eine Verbindung zum Familiennamen Brocchi herstellt. Mit spitzer Feder karikiert Gadda das hohle, bürgerliche Gehabe seiner Mailänder Mitbürger, die sich von Margherita Sarfatti als Mäzene der zeitgenössischen Kunst einsetzen lassen, ohne Interesse oder Sensibilität für Kunst zu besitzen. Vielmehr betreiben sie ihre mäzenatischen Aktivitäten wie ihre sonstigen Geschäfte und genießen insgeheim vor allem die anzüglichen nudi, von denen sie sich nach außen hin als Hüter der Moral lautstark distanzieren.
«Sicché, caro il nostro conte, s’è convertito anche lei, eh?… all’aura del Novecento, eh?…» chiedevano, scrutandolo perplessi, altri mecenati lombardi. Essi manovravano con disinvoltura questa etichetta, avevano dovuto invitare a pranzo la Promotrice, per non dire Eccitatrice, del vasto bailamme. (RR II 660 ) (34)
Die novecentistische Kunst ist Ausdruck der «tempi che corrono» (RR II 659), der «tempi “troppo perversi”» (RR II 663). Der Novecento als Kunstrichtung – und aufgrund der Namensidentität die moderne Zeit des 20. Jahrhunderts überhaupt – erscheint in der Vorstellung der Contessa als Gefahr für die Reinerhaltung des Söhnchens, genauso wie die attraktive Jole oder der Maler Penella (RR II 664). Besondere Relevanz erhält die Figur des Malers, da Penella auf einer frühen Redaktionsstufe noch namensidentisch mit dem Autor Gadda war und damit ein ironisches Selbstporträt lieferte. (35) Der für die Veröffentlichung bevorzugte fiktive Name Penella stellt einen recht offensichtlichen Bezug zur Malertätigkeit des Namensträgers her (pennello – penna). (36) Als der Maler Gigi durch die Mostra führt und durch seine offenherzigen Bildinterpretationen den Aufruhr in Gigis Innerem kuriert, (37) erfährt der pennello entlehnte, figurative Ausdruck pennellata den komischen Zusatzverweis auf den Namen und die Persönlichkeit des Sprechers: «Il Penella aveva avuto, per ognuna, una pennellata d’allegrezza aperta e virile: come pure per la cavalla vituperata dall’immodestia del centauro» (RR II 681). Das Anthroponym Penella verweist nämlich auch auf Penellas sexuelle Freizügigkeit. (38) Bei der Planung seiner Karriere verhält sich der Libertin Penella nicht weniger geschäftstüchtig als seine Mailänder Mäzene. Geschickt nützt er die Bekanntschaft mit dem Conte, dem einflußreichen Mitglied des Organisationskomitees aus. Nicht künstlerisches Genie und Originalität, sondern unermüdliches Abtasten des Publikumgeschmacks und keckes Ausprobieren führen Volcazio Penella zum 2. Preis der Triennale Milanese. Neben der imponierenden Ansammlung von ofenrohrartigen Beinen auf der Leinwand findet vor allem sein Gemälde L’Uomo e l’Angelo positive Aufnahme beim Publikum.
Von der Länge her übertrifft die Ekphrase dieses Werks noch die Schilderung des Ritratto della Marchesa Cavalli. Auch in Penellas als novecentistisch ausgewiesenem Kunstwerk, einer «spettacolosa catastrofe di inspirazione apocalittica» (RR II 682), mischen sich Kunstkritik und Spiegelung der erzählten Geschichte. Die Sorgen um ihren Sohn hatte die Gräfin Brocchi in Bilder gekleidet: den tückischen Angriff auf anima e virtù der Familie, eigenartige Kombinationen, übler Schlammgeruch, ein Gewitter, das sich über dem Hause Brocchi zusammenbraut: «E così invece, con lampi lividi, nere nubi ci rotolavano sopra!» (RR II 664). Diese Begrifflichkeit gebraucht nun der Erzähler wieder bei der Beschreibung von Penellas Gemälde (nuvoloni tempestuosi, saturi di elettricità; lampi e folgori, RR II 682). über die wörtlichen Entsprechungen zwischen der Sprache, mit der das Kunstwerk beschrieben wird, und der Sprache, die die Schreckensbilder der Contessa in Worte fassen, baut sich ein Beziehungsgefüge zwischen Bildekphrase und fiktiver Realität innerhalb der Erzählung auf. Es entsteht der Eindruck, als ob Penellas Gemälde die Ängste der Gräfin in visuelle Bilder banne. Da die Gemäldebeschreibung aber das Kunstobjekt als lächerliche übertreibung rezensiert, verhöhnt sie auch die Angstvorstellungen der Mutter Gigis.
Penellas L’Uomo e l’Angelo, oder besser: Gaddas Beschreibung des Gemäldes, ridikülisiert Phrasen und Bildstereotype nicht nur der Novecento-Bewegung, sondern der Kunst des 20. Jahrhunderts überhaupt. Das Thema der Apokalypse erinnert an Beispiele der pittura metafisica De Chiricos oder Carlo Carràs. Es dominieren jedoch übereinstimmungen von Gaddas beschreibender Sprache mit der Rhetorik Marinettis und der futuristischen Manifeste. Möglicherweise lehnte sich der Autor ganz bewußt an die Ausdrucksweise des Futurismus an, um zu demonstrieren, wie der Futurismus von den Novecentisten mit anderen, vor allem traditionelleren Verfahren vermengt und durch Eklektizismus und Banalisierung futuristischer Motive und Sprache ad absurdum geführt wurde. Eine leicht verständliche, konkrete Kunst für breite Publikumsschichten, die Sarfatti in ihren Publikationen Ende der zwanziger Jahre favorisierte, entsprach nicht Gaddas elitärem Kunstverständnis. (39)
Penellas Weltuntergangsszenerie wirkt durch die Anhäufung disparater Elemente, vor allem aber durch die Kommentare des Erzählers lächerlich. Zunächst beschreibt Gadda ausführlich die Gewitterwolken, aus denen bereits Blitze zur Erde zucken und einen Strohhaufen anzünden, vor dem ein bläulicher Pudel die Flucht ergreift. Für den Leser interessant ist nicht so sehr das Gemälde an sich, sondern wie es der Erzähler bespricht. Der Autor spielt mit dem Nebeneinander von Gegensätzen: «Sotto quel po’ po’ di nuvole alcune montagnole cilindriche e tronco-coniche proponevano al pubblico facili problemi di stereometria» (RR II 682). Die kindisch wirkenden Gegenstände, die verniedlichenden Suffixbildungen und Lautmalereien (po’ po’; nuvole – montagnole) passen nicht zu den mathematischen Fachbegriffen (cilindriche e tronco-coniche; stereometria). Wie ein Spottvers klingt der Wetterspruch, Vergleiche aus Kinderwelt und Küche versagen dem Gemälde den Respekt, den ein Kritiker gewöhnlich dem Kunstwerk zollt. «Alcuni cavallucci, caprette e vaccherelle attendevano invece, rassegnati alla grandine, di venir appesi all’albero di natale dei poveri. In secondo piano, fra il cielo e la terra, un arcobaleno semplificato, d’una consistenza come di majonese, dietro tutti i monti e le terre, lontan lontano, cielo a pecorelle, acqua a catinelle» (RR II 682).
Um den kitschigen Naturalismus der Novecentisten, wie er die Endphase der Bewegung kennzeichnete, möglichst effektvoll zu parodieren, stellt Gadda der simplen Technik des Malers Penella und seinen banalen Sujets eine Wortkomposition ent-gegen, die mit einem Höchsteinsatz rhetorischer Mittel arbeitet. Wenn der Erzähler darauf hinweist, daß der Donner leider noch nicht zu hören gewesen sei, im Falle einer Sonorisierung aber wahrhaft «temporaleske» Effekte erzielt werden könnten, mokiert er sich aber auch über das futuristische Postulat nach Sonorisierung der Malerei. (40) Den Höhepunkt der Satire markiert die titelgebede Begegnung zwischen «L’Uomo» und «L’Angelo». Ein durch die Unbill des Wetters schwermütig gewordener Mensch kauert in einer Ecke: «non si capiva bene se era seduto o cosa diavolo stava facendo: più che altro aveva l’aria di esaminarsi i piedi» (RR II 682). Auf ihn stürzt sich in der Horizontalen ein Engel, der zwar keine Flügel hat, dafür aber, wie man wenig später erfährt, deutlich männliche Geschlechtsmerkmale. Die vorgebliche Neuheit der Flügellosigkeit wird sogleich durch den Hinweis auf die Ähnlichkeit der Konfiguration mit Michelangelos Schöpfungsszene in der Sixtinischen Kapelle demaskiert. Dabei kann sich Gadda das Spiel mit der Homonomie des Malernamens mit dem Engel nicht verkneifen.
Das novecentistische Kunstobjekt wirkt auf männliche Ausstellungsbesucher erogen (RR II 683). Dadurch rücken die dem Gemälde vorher vom Erzähler zugebilligten Stilqualitäten audacia, vigore und movimento (RR II 682) in ein ambigues, ironisches Licht. Mit dem entzückten Ruf eines Mailänders «Ceda l’Ottocento al Novecento!» vor Penellas Angelo parodiert Gadda die Bemühungen von Futuristen wie auch Novecentisten nach über-windung der Kunst des 19. Jahrhunderts. Den Malern, so könnte man aus Gaddas Spiel mit der Polysemie des Begriffs Novecento folgern, gelang es nicht, ihren Anspruch auf Abkehr von der traditionellen Kunst des ’800 in überzeugender Weise zu verwirklichen. Aus seiner Sicht präsentiert sich die Mailänder bildende Kunst im Jahre 1929 als Wirrwarr unterschiedlicher Stilrichtungen und Motive, als mehr oder minder billiger Klamauk.
Der Anfang der Erzählung – ein Beispiel für Gaddas Bildkraft
Bereits die Titel seiner Manifeste weisen den Futurismus als gesamtkulturelle avantgardistische Bewegung aus. Von futuristischen Ideologemen zeigt sich Gaddas Schreiben maßgeblich geprägt. Aufgrund seiner beruflichen Ausbildung zum Elektroingenieur begrüßte der Schriftsteller Gadda die öffnung der Kunst und Literatur zur modernen Technik, wie sie die Futuristen proklamierten. Seine Polemik gegenüber Filippo Tommaso Marinetti, dem «celebratore del “futuro” e innografo dell’“energia”», (41) gegen die «pseudo-epilessia del dipoi accademico Filippo Tommaso Marionetti», (42) dürfte in den völlig konträren Persönlichkeiten Gaddas und Marinettis begründet liegen. Der zeit seines Lebens bürgerliche, extrem publikumsscheue Gadda macht seinem Unmut über den ruhmsüchtigen Schauspieler Marinetti erst dann Luft, als die fatalen Folgen des faschistischen Regimes und seiner Helfershelfer offen zutage liegen. (43) Nicht nur in ironischen Anspielungen, so die hier vorgeschlagene These, setzt sich der Mailänder Autor mit den Forderungen der Futuristen nach einer der Gegenwart angemessenen neuen Kunst, nach Dynamik und Simultaneitätserfassung, auseinander, sondern er bemüht sich Ende der zwanziger Jahre intensiv darum, verbale Ausdrucksmöglichkeiten für die Komplexität menschlicher Wahrnehmung zu finden. Sensibler als andere Autoren der Zeit registriert Gadda die technischen Entwicklungen in Photographie und Kinomatographie und reflektiert sie in seinem Schreiben. (44)
Wiederholt führte die Analyse von San Giorgio in casa Brocchi zu dem Futuristen Giacomo Balla. Um den Immobilismus in der Kunst zu überwinden, versuchte Balla, die Abfolge von Bewegungen minutiös zu erfassen und von hieraus weiter in den Bereich innerer Zustände vorzustoßen (Lista 1982: 87). In Farben, Formen und neuen Techniken wollte er die Komplexität der menschlichen «Sinnenerfahrung» einfangen. In dem Gemälde Dinamismo di un cane al guinzaglio (1912) ließ er sich von photodynamischen Experimenten inspirieren und verschmolz die sukzessiven Phasen eines an der Leine laufenden Hundes, indem er die Gliedmaßen von Hund und ihn führender menschlicher Gestalt vervielfältigt darbot, um hierdurch die Schnelligkeit der Fortbewegung nachzubilden. Eben dieses seinerzeit berühmte Gemälde zitiert San Giorgio in casa Brocchi zu Beginn ironisch gebrochen: Dem Entwurf einer von Geschwindigkeit geprägten modernen Großstadt steht die genaue Schilderung der Tätigkeit des Hundes Fuffi gegenüber.
Che Jole, la cameriera del conte, uscisse ogni sera per far fare la passeggiatina a Fuffi: e che Fuffi, di tanto in tanto, dopo aver meticolosamente inseguito a guinzaglio teso e col muso contro terra non si sa che odore, levasse tutt’a un tratto, contro il più nobile degli Ippocastani, la quarta zampetta, come a dire: «Questo qui, proprio, mi merita la spesa!»; che, intanto, frotte di bersaglieri ritardatari trasvolassero in corsa con piume nel vento di primavera e dicessero a Jole dei madrigali a tutto vapore, già sui vaganti sogni della notte cadendo la brutale saracinesca della ritirata: che i tram vuoti galoppassero verso le tettoie suburbane o semivuoti verso le formicolanti stazioni: e qualche monaca in partenza chinasse il viso sopra le mani congiunte nel grembo, travisti dal finestrino li amanti disparire baciandosi nell’ombre de’ cupi giardini; e che Jole, travista la monaca in tram, quella povera monaca le mettesse in tutte le vene un certo desolato sgomento: che tuttociò accadesse, era, si potrebbe quasi arrischiare, nell’ordine quasi naturale delle cose, o almeno delle cose del 1928 p.C.n.
Che Jole, poi, durante la passeggiatina, le stratte, e i repentini zampilli di Fuffi, le arrivasse quasi ogni sera all’abbordaggio, ohimè!, un «giovinotto», ma proprio un «giovinotto», di quelli proprio che non hanno altro da fare che fare lo stupido alle ragazze: che nelle cose del 1928 fosse insorta questa complicazione, i lungimiranti occhi dei portinai della cognata del conte lo avevano a poco a poco, se non proprio constatato (dati gli ippocastani, i tram, i taxi, date le innumerevoli ombre vagolanti abbinate sotto le fronde degli uni e dietro le spole infaticate degli altri), ma però quasi oramai divinato. Dappoiché, nelle notti di primavera, i portinai prendono il fresco sul portone di casa: e lui fuma la pipa. (RR II 645)
Der sprachlichstilistisch ausgefeilte Erzählanfang vermittelt eine ineinander verwobene Kette von Wahrnehmungsbildern. Gaddas «Eingangsgemälde» präfiguriert zentrale Motive von San Giorgio in casa Brocchi. über nahezu eine Druckseite hinweg entfalten sich die ersten beiden kunstvoll verschachtelten, ciceronianischen Satz-perioden, die jeweils mit «Che Jole» (45) anheben und den Text in zwei Bewegungs-linien zerlegen. Die erste kommt am Ende des ersten Absatzes im Hauptsatz «era, si potrebbe quasi arrischiare, nell’ordine quasi naturale delle cose, o almeno delle cose del 1928 p.C.n.» zur Ruhe, die zweite findet in «i lungimiranti occhi dei portinai della cognata del conte lo avevano a poco a poco se non proprio constatato […] ma però quasi oramai divinato» ihren Abschluß, bevor mit dem kausalen Nachsatz Entspannung eintritt. Durch die immer wieder neu einsetzenden, insgesamt achtmal durch che eingeleiteten Komplementsätze erzeugt Gadda Spannung. Der Leser sucht nach diesen visuellen Haltepunkten, um sich im Gewirr der Syntax zurechtzufinden.
Hyperbolik ist gleich zu Beginn das bevorzugte Instrument satirischer Rede. Mit exzessivem stilistischen Aufwand wird das Auftreten eines Störfaktors innerhalb der Normalität der Mailänder Gesellschaft des Jahres 1928 dargestellt. Der Leser muß nicht wenig Mühe investieren, um zu erkennen, daß diese «Komplikation» in Joles Bekanntschaft mit dem «giovinotto» besteht, eine Lappalie angesichts des Umbaus Italiens zur Diktatur in diesem Zeit-raum. Die lediglich um das Wohl ihrer Familien besorgte Mailänder Oberschicht – deren Ein-stellung spitzt Gadda satirisch im Jole-Motiv zu – glaubt, sich mit Hilfe einer anachronistischen Moral am wirksamsten gegen die neue Zeit abschotten zu können. Der hochelaborierte, gewundene Stil des Autors und der saloppe Erzählton eines «Augenzeugen» (ohimè!) gehen eine Symbiose ein. Zunächst erweckt der Text den Anschein, als werde das Geschehen aus der hochherrschaftlichen Perspektive der portinai mit ihren lungimiranti (46) occhi betrachtet. Der Erzähler-bericht zieht aber zugleich wieder die Fähigkei-ten der Concierges, mittels Beobachtung die Beziehung zwischen Jole und dem jungen Herrn genau zu bestimmen, in Zweifel und führt als Hindernisse – visualisiert durch die eingeschobenen Klam-merzeichen der Parenthese – die vorher geschilderten Sinneseindrücke auf. Bis auf Jole und den Hund Fuffi werden keine Namen, sondern nur Namensperiphrasen gebraucht, eine Erzählstrategie, die «la bocca dell’informatrice, tutta rugiadosa dallo sciroppo delle perifrasi» (RR II 647) kurz darauf aufdeckt. (47)
Die viermalige Nennung des Namens Jole auf der ersten Druck-seite weist sie daher als herausgehobene Figur aus. Nur aus ihrem Namen und der Wir-kung ihrer Erschei-nung auf andere – Soldaten singen ihr Liedchen hinterher, der «giovinotto» wartet all-abendlich auf sie am Gehsteig – kann der Leser schließen, daß Jole eine attraktive, junge Frau sein muß. In Boccaccios De claris mulieribus zieht Jole, die Tochter des Königs Eurytos, durch ihre Schönheit die Blicke der Männer auf sich und triumphiert durch List und Verführungskunst über Herkules. (48) Wie der Alkide kann auch Gigi gegenüber Jole seine Blicke nicht zügeln und wird durch das Dienstmädchen Jole in die Liebe initiiert. Mit der Setzung des Namens, mit der abendlichen Rendez-vous-Szene, mit der Frühlingsstimmung, mit den federgeschmückten Bersaglieri und den sich im Park küssenden Liebespärchen skizziert Gadda gleich zu Beginn das Thema der Erzählung, das die deutsche übersetzung im Titel Cupido im Hause Brocchi bereits anklingen läßt. (49) Ja selbst das später im keuschen San Luigi symbolisierte Gegenprinzip wird durch das Bild der in der Straßenbahn sitzenden Nonne evoziert. Sie senkt ihre Augen nach unten auf ihre gefalteten Hände, um den Blick auf die Liebespaare zu vermeiden. Jole, die ihrerseits von außen die Klosterfrau vorbeifahren sieht, erschaudert über deren keusch abwehrende Geste. Stilistisch macht der Text durch die Figur des Chiasmus (monaca – amanti; Jole – monaca), durch die sperrige Satzkonstruktion sowie durch die Wiederholung des Verbs travedere, das die Flüchtigkeit der Wahrnehmung signalisiert, auf die konträre Lebenseinstellung beider Frauen aufmerksam und deutet auf den später in der Erzählung dargestellten Libido-Konflikt voraus.
Mit seinem ungewöhnlichen Porträt der Stadt Mailand im Jahre 1928 demaskiert der Autor zugleich auch die Modernitätsmythen des Futurismus. Neben dem «Hund an der Leine» ironisieren auch die vorbeigaloppierenden Straßenbahnen (50) oder die Erörterungen des Erzählers über «l’idea dell’auto» (51) beliebte futuristische Themen. Marinetti hatte das Automobil im Manifesto del futurismo als Bestie gepriesen, die an Schönheit die Nike von Samothrake übertreffe. San Giorgio in casa Brocchi verspottet das Auto als Teil des männlichen Imponiergehabes und Lockmit-tel für die Söhne aus gutem Hause.
Marinettis Poetik der parole in libertà setzt Gadda seine Konzeption spastischen Schreibens entgegen, die Sätze sind für ihn Momentaufnahmen, kurze Pausen im Fließen der Erkenntnis und des Ausdrucks (Come lavoro, SGF I 437). Stilistisch zeichnen rhetorische Figuren wie Hyperbaton, Chiasmus, Anakoluth oder accumulatio das Bild des «Krampfes» nach. Gadda will, so zeigt das Beispiel der Eingangspassage von San Giorgio in casa Brocchi, die Vorstellung vom Beziehungsgeflecht der Realität zum Ausdruck bringen und dem Text die Kraft verleihen, «Bilder abwesender Dinge» zu erschaffen. (52) Die durch die syntaktische Klammer zusammengehaltenen Bilder der Stadt Mailand im Jahre 1928, d. h. der Gegenwart des Schreibenden, bereiten die ob-ses-siven Bilder des Prota-go-nisten Gigi - Erinnerungen an die Erzählungen seines Freundes von mangelhaft bekleideten Variété-mädchen, an Hamlets Rede über Ophelia (II.2) oder an die Bilder der Novecentisten- vor, die sich in seiner Psyche übereinanderschieben wie Photographien eines Films, bei dem vergessen wurde, weiterzudrehen: «Le immagini, ossessione, delirio, si accumulavano sulla lastra dell’anima e si dissolvevano l’una nell’altra, come fotografie prese l’una sull’altra, quando ci si dimentica di girare il film» (RR II 687).
Universität WürzburgAnmerkungen
1. Cf. etwa die Beiträge in den Sammelbänden von Weisstein, U. (ed.), Literatur und bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes (Berlin 1992); Dirscherl, K. (ed.), Bild und Text im Dialog (Passau 1993); und Boehm, G. & Pfotenhauer, H. (ed.), Beschreibungskunst-Kunst-beschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart (München 1995).
2. In den Schede autobiographiche betont er seine Bekanntschaft mit bedeutenden Vertretern der italienischen Kunstszene: «Il N. ha avuto l’onore e la fortuna di conoscere da allora i più notevoli poeti e critici italiani […] e tra i pittori De Pisis, Rosai, Carrà, Morandi e fra i critici il sommo Roberto Longhi» (SGF II 875).
3. Cf. hierzu den informativen Beitrag von F. Graf, Ekphrasis: Die Entstehung der Gattung in der Antike (Boehm & Pfotenhauer 1995: 143-55).
4. Es war am 20.2.1909 in französischer Sprache in Le Figaro erschienen. In Archivi del Futurismo. Ed. M. Drudi Gambilli & T. Fiori (Roma 1958-1962), 15/16 findet sich die in Lacerba, Firenze 1914 veröffentlichte Fassung.
5. Nach L. De Maria (ed.), Marinetti e i futuristi (Milano: Garzanti, 1994), xcvii.
6. F.T. Marinetti, Vorrede zum Manifesto del futurismo, in Archivi del Futurismo, 15/16.
7. Cf. Gaddas Brief vom 27.12.1936 an seinen Cousin Piero Gadda Conti: «Temo che non cercherò Giacomo De Benedetti perché attraverso una leggera antisemitite e tutti questi ebrei “iper” sono troppo difficili per me, per il momento; scherzi a parte mi pare che posi un po’; la critica per le maestranze della Breda, per il dopolavoro Pirelli!» (Gadda 1974c: 42).
8. In diesen Kreisen verkehrte ab 1912 auch Benito Mussolini, arbeitete hier zunächst als Journalist für die sozialistische Zeitschrift l’Avanti, gründete das faschistische Parteiorgan Il Popolo d’Italia und bereitete nach dem Aufbau der faschistischen Partei von Mailand aus seinen legendären Marsch auf Rom vor.
9. Cf. Cannistraro, P.V. & Sullivan, B., Il Duce’s Other Woman (New York, 1993), 252.
10. Cf. Cannistraro & Sullivan 1993: 268; und Wieland, K., Die Frau hinter Mussolini, in Merkur 555 (1995): 497-508. Der Name Novecento geht auf eine Anregung Buccis zurück.
11. Cf. Mussolini, B., Discorsi del 1926 (Milano, 1928), 55-64.
12. Cf. ibid., 379 – sowie Fossati, P., Storia dell’arte italiana. Parte II. Dal Medioevo al Novecento. Vol 3. Il Novecento. 1982, 212-13; und Bossaglia, R., Il Novecento italiano. Storia, documenti, iconografia (Milano: Feltrinelli, 1979), 15, ferner Il «Novecento» Milanese. Otto pittori e uno scultore. Mostra a cura di Lucia Stefanelli Torossi. Catalogo a.c.d. Fabio Benzi, Roma, 6.12-30.12.1987 (Roma: De Luca, 1987).
13. T. Kienlechner setzt versehentlich in einer Anmerkung zur deutschen übersetzung die genannte Margherita mit der italienischen Königin Margherita, der Gemahlin Viktor Emmanuels II. gleich – C.E. Gadda, Die gräßliche Bescherung in der Via Merulana (München: Piper, 1988), 409.
14. Mit dem Namen der altrömischen Quellgottheit, die Geliebte und Ratgeberin des Königs Numas gewesen sein soll, spielt Gadda auf die einstige Position der Intellektuellen Sarfatti an.
15. a pennello: eigentlich perfettamente, cf. aber auch Anm. 48.
16. Cf. hierzu Crispolti, E., Die Dialektik der Oppositionen in der italienischen Kunst zwischen den beiden Weltkriegen und der neue Futurismus, in L. Caramel, E. Crispolti, V. Loers (ed.), Italiens Moderne (Milano, 1990), 15-22.
17. Il «Novecento» alla ribalta, in L’Ambrosiano, 8.12.1922, zit. nach Benzi 1987: 69. Cf. ferner V. Fagone, Le tre stagioni di Carlo Carrà, in Carlo Carrà. Tutti gli scritti. A cura di Massimo Carrà con un saggio di Vittorio Fa-gone (Milano: Feltrinelli, 1978), xli, n. 80.
18. «Così sorse in Milano il gruppo del Novecento Italiano, con quel nome come parola d’ordine. Gli si rimproverò persino di aver voluto ipotecare tutto per sé un secolo nuovo, appena cominciato. In realtà, quegli artisti volevano soltanto proclamarsi italiani, tradizionalisti, moderni» – Sarfatti, M., Storia della pittura moderna (Roma: P. Cremonese, 1930), 126.
19. Cf. Marinettis Polemik «contro la malafede dei novecentisti» in Bossaglia 1979: 44-45 und im Katalog der Mostra di trentatre artisti futurista in der Mailänder Gallerie Pesaro im Jahre 1929 (Crispolti 1990: 18).
20. Cf. die zynische Rezension im Almanacco di Strapaese (zit. nach Bossaglia 1979: 34): «I pittori del ’900 milanese invece di una pera e una brocca d’acqua sopra un tavolo, dipingeranno due pere e due brocche sopra una seggiola… e quelle donne di gomma che mal si reggono sui pavimenti inclinati, finiranno col sdraiarsi per terra e ruzzolare fuor della cornice.»
21. Cf. Schmidt-Bergmann, H.-G., Futurismus. Geschichte, Ästhetik, Dokumente (Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1993), 65.
22. Meines Wissens wurde in der Futuristenausstellung des Jahres 1929 Ballas Skulptur nicht gezeigt. – Wie ich erst nach Abschluß meines Beitrags feststellte, bestätigt Lipparini 1994: 140, Anm. 16 meine These. Sie erwähnt, daß die Marchesa Casati 1919 auf dem Titelblatt der Zeitschrift Il Mondo abgebildet war.
23. Cf. De Marchis, G., L’aura futurista (Torino: Einaudi, 1977), 64: er zitiert M. Sarfatti über das Werk: «di-vertente e somigliantissimo in quanto ritratto con le sue complicate strutture di legno, vetro e luccicanti stagnole…».
24. Cf. Lista, G., Balla (Modena, 1982), 515, Nr. 459: «Ritratto della Marchesa Casati 1916 – cartone e legno colorati, complesso plastico movibile, cm. 50 x 70 c. Opera dispersa. Esp. 1919, Milano, Pal. Cova, n. 27; 1919, Genova, Gall. Centrale, n. 27.» Cf. auch das Photo aus dem Jahre 1932 (Lista 1982: 247, Nr. XX), das F.T. Marinetti in seinem Haus neben der Skulptur der Marchesa Casati zeigt.
25. Gadda erwähnt dagegen die Farbe Blau, mit der die Skulptur überzogen war, nicht. Nach Lista 1982: 77 sollte das Blau die Psychologie der dargestellten Person charakterisieren.
26. Cf. Georges, 2814, s.v. strabus: «non haec res de Venere paeta strabam facit, Varro sat. Men. 344». Cf. auch Gigis von den Ärzten diagnostizierte «Krankheit» des «strabismo» (RR II 651).
27. Cf. Gaddas Anmerkung in Mercato di frutta e di verdura (SFG I 39): «i bròccoli sicolti, a montagne. […] donde irrorare di vitamine e rifornire d’idrati la città senza frutto: ché dall’asfalto e dalla petraia del selciato, mai, mai, nemmeno a maggio, non si vede spuntar un aspàrago. Anche se il brocco ha concimato l’asfalto.1 […] 1 Brocco – voce lombarda – per cavallo di poco pregio, sfiancato e stracco».
28. Aldo di Luzi analysierte dieses für Gadda charakteristische Verfahren sehr präzise am Beispiel von Textausschnitten aus Quer Pasticciaccio (Di Luzi 1994: 297-347, hier 305-07).
29. Cf. zum Beispiel das Motiv der fehlenden Damenunterwäsche in Gaddas Texten.
30. «Nel mito greco dei titani e dei mostri, figli della terra, ribelli alle potenze del cielo e sterminatori malefici degli uomini, bisogna riconoscere adombrata la verità attuale: l’insurrezione, che minaccia di scatenarsi, che già è in atto, del materialismo contro lo spirito. Una nuova serena Pallade occorre, che domi e debelli i mostri, come è raffigurata nella mètope di tutti i grandi templi» (Sarfatti 1930: 138).
31. «In questi falsi primitivi troviamo una monotonia di forme semplici (cubi, triangoli e altre figure geometriche, lineari e solide, mannequin che sono sintesi semplici e banali delle forme reali della natura)» (zit. nach Benzi 1987: 67).
32. über Achille Funis Venere Apuana schrieb ein Kritiker: «Il suo sogno romantico rievoca quasi il platonismo della rinascenza» (V. Costantini, La Fiera Letteraria, 3.3.1929, VII).
33. «alcuni cucchiaini da gelato, delle trombette coniche di cartone rosso, due giarrettiere, un cavalluccio a dondolo e una baùtta».
34. Die insgesamt vorzügliche deutsche übersetzung von Toni Kienlechner – Cupido im Hause Brocchi (Berlin: Wagenbach, 1987) – übergeht leider den Seitenhieb auf die Person M. Sarfattis: «[…] hatten ein Essen veranstalten müssen für den Förder-, um nicht zu sagen, Anstifter-Verein dieses Riesenwirrwarrs» (30).
35. Cf. Pinotti 1994: 247-265, hier 254 zu «Il trattato di Morale». Dort trifft Gigi den «pittore novecentesco» Gadda, der ihm anbietet, für ihn Modell zu sitzen. «Ho un altro angelo da pitturare… e ho bisogno di un modello… maschio».
36. Cf. auch den ironischen Verweis auf die fehlenden Flügel des Engels auf Penellas Gemälde.
37. «il tumulto repentino delle sensazioni nella pozza dolorosa dell’anima, protetta da San Luigi e circondata da tutto il Bene di casa» (RR II 681).
38. Man erinnere sich an den Protest der Kunststudentin «per quistioni di pennello» (92). Cf. Zingarelli, 1364, s.v. pennello: «o penello, dim. di penis». Cf. Strocchi 1983: 364-98. Strocchis Schreibung (373 zufolge) hieß Penella in der Solaria-Fassung und den Novelle dal Ducato in fiamme noch Pennella).
39. Un’arte, che sembri di tutti, e sia nell’essenza per i migliori, perché tutti possono intenderne i lati rappresentativi, non ermetici, semplici, e tutti possono presentirne oscuramente l’afflato di mistero spirituale interiore, il quale non le viene dagli artifici apparenti, ma dal senso del prodigio, posto alle radici dell’essere. Precisione nel segno, decisione nel colore; risolutezza nella forma; sentimento profondo e sobrio, scavato e scarnito attraverso la meditazione, l’eliminazione e lo studio; aspirazione verso il concreto, il semplice e il definitivo» (cf. Sarfatti 1930: 146).
40. Cf. Lista 1982: 65-67 zu diesbezüglichen Vorschlägen des Manifests Futuristische Neuschaffung des Universums.
41. L’Uomo e la Macchina, SGF I 256-57. (Nach Liliana Orlando, SGF I 1258, fügte Gadda die Bemerkungen über Marinetti erst in der Buchfassung, die im Juli 1943 bei Parenti erschien, ein).
42. Rivelazione e bonae literae lungo la storia ascendente, SGF I 909 (erstmals in: Il Mondo, 1.9. 1945). Die Namensverdrehung Marionetti dekouvriert Marinetti als eitle Theaterpuppe.
43. Am 31.12.1921 hatte der spätere Duce-Hasser Gadda Ugo Betti noch den übertritt vom partito nazionalista zur faschistischen Partei mitgeteilt (Gadda 1984a: 58).
44. Cf. neben Gaddas Parodisierung von Sarfattis sintesi-Schlagwort (Sarfatti 1930: 163) in San Giorgio in casa Brocchi, RR II 659, die Anspielung im Romanfragment La Meccanica, die Phototechnik, Literatur und Malerei miteinander vergleicht: «E dal viso florido […] aveva piantato nello specchio due occhi intenti, iridati d’oro e di cénere, perfidamente taciti e calmi: cui lo specchio si dava a riprodurre implacabile, preso da un attacco di zolianesimo, funzionario della meticolosa analisi, fotografo de’ lunghi cigli e delle lor ombre d’amore: mentre se fosse stato un uomo, magari anche un novecentista, la fotografia sarebbe riuscita catastroficamente sintetica. Bisognava prenderla a tradimento, ché con le buone non c’era niente da fare» (RR II 471-72).
45. In der 1. Satzperiode ist das che nachgestellte Jole jeweils Subjekt, in der 2. Satzperiode eigentlich Dativobjekt (che Jole […] le arrivasse). Der Anakoluth entspringt Gaddas Symmetriewillen und verleiht dem Satz eine sprechsprachliche Tönung.
46. Man beachte Gaddas Spiel mit der Zusammensetzung aus dem Adverb lungi und dem Partizip von mirare.
47. Die Identität des giovinotto wird nur schrittweise enthüllt. Erst in Teil II erfährt man seinen Namen Gian Carlo Vanzaghi (RR II 666), vorher war er lediglich von der Stimme eines portinaio in umständlichen Umschreibungen als Verwandter der Brocchis ausgewiesen worden (RR II 646).
48. Boccaccio warnt daher: «Obstandum ergo principiis, frenandi sunt oculi ne videant vanitates, obturande sunt, more aspidis, aures, laboribus assiduis est premenda lascivia.» – De claris mulieribus. Die großen Frauen. (Stuttgart: Reclam, 1995), 72.
49. Cupido im Hause Brocchi – der deutsche Titel bezieht seine Legitimation direkt aus dem Text: «Ma i portinai! Nelle ruote di Cupìdo non c’è peggio bastoni» (RR II 647). Zur Fusion von Amor und Fortuna, auf die Gaddas Bild von den Rädern Cupidos abzielt, cf. Wind, E., Heidnische Mysterien in der Renaissance (Frankfurt, 1987), 125.
50. Cf.das Gemälde von Carlo Carrà, Was die Straßenbahn mir sagte (1910-1911) – Calvesi, M., Der Futurismus. Kunst und Leben (Köln, 1987), 47 ff.
51. «significa e corsa e volo oltre ogni pioppo della verde pianura, ebbrezza del lontanare verso nuvoloni dorati: visione fantasmagorica di panorami brianzuoli, con Tramaglini in bicicletta e Mondelle e fontane inesauribili di coccodè dentro un polverone accecante, scansati i più zelanti paracarri, i più perniciosi chiodi» (RR II 646).
52. Zum Begriff der Enargeia cf. Graf, in Boehm/Pfotenhauer 1995: 145.
Published by The Edinburgh Journal of Gadda Studies (EJGS)
ISSN 1476-9859
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framed image: Umberto Boccioni, States of Mind: Those who go, 1911, Museum of Modern Art, New York, with photograph of Gadda superimposed.
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